„Er zog Meyers Lexikon aus dem Regal und las. Marokko: El-Maghreb el-Aksa (arabisch, »der ferne Westen«“). Amtlich al-Mamlaka al- Maghrebia, Königreich in der Nordwestecke Afrikas. Geschichte, Geographie, Mittlerer Atlas, Hoher Atlas und »jenseits der Atlasketten über einen Saum von Oasen der Übergang zur Sahara«. Dazu eine kleine Karte mit Bodenschätzen, Klimazonen, den wichtigsten Städten. Carl sprach die Namen leise vor sich hin. Agadir, Tanger, Marrakesch, Fès, und dann immer wieder: Fès, Fès. Jeder hat nur ein Lied.“ Das schrieb Paul Bowles, der in Tanger lebte. Café Hafa, Pension L`Amour, Blechdächer, Katzen, die maghrebinische Sonne – das erträumte Leben, dort fand es statt. „Dort wird es sein“, flüsterte Carl, dann schlief er ein.“
Carl Bischoff ist die zentrale Figur im Roman „Stern 111“ von Lutz Seiler, der 2020 veröffentlicht wurde. Im Roman haben Carls Eltern zwei Tage vor dem 9. November 1989 die DDR verlassen und Carl mit der Betreuung des Elternhauses und einem Auto vom Typ Shiguli beauftragt. Carl fährt mit dem Auto der Eltern nach Ost-Berlin und wird Teil der damaligen Hausbesetzerszene. Er arbeitet in einer Kneipe zwischen den besetzten Häusern. Hier treffen sich allabendlich Künstler, Literaten, Studenten aber auch die „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“. Carl trifft auf seine Jugendliebe und fängt an Gedichte zu schreiben, während sich seine Eltern in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Leben aufbauen.
Dass Lutz Seiler in der Tagträumerei seiner Romanfigur Carl Bischoff den US-amerikanischen Literaten und Komponisten Paul Bowles erwähnt, wird in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 7. Oktober 2003 näher erklärt. In der Besprechung „Madeleines aus Bitterfeld“ zu Lutz Seilers zweitem Gedichtband „pech & blende“ heisst es: „Seinem zweiten Gedichtband "pech & blende" gab Lutz Seiler seinerzeit ein Motto von Paul Bowles mit: "Jeder hat nur ein Lied." Darin steckte ebensoviel Bescheidung wie Selbstgefühl. Denn nicht jeder, der Gedichte schreibt, hat dieses eine Lied. Lutz Seiler, ein Mann vom Jahrgang 1963, der zu DDR-Zeiten als Zimmermann und Maurer arbeitete, hat sein Thema nicht suchen müssen: Die Geschichte hat es ihm aufgedrängt. Mit der Lyrik, dem einen Lied, befreit er sich von einem Trauma, das nicht bloß subjektiv ist.“
Paul Bowles reiste mit seinem Freund, dem Komponisten Aaron Copland 1931 das erste Mal nach Tanger. Gertrude Stein riet ihm dazu. Der Ort muss so beindruckend für Bowles gewesen sein, denn er wiederholte seine Reise 1947 und schrieb in dieser Zeit den Roman „The Sheltering Sky“.
Der als Reisereportage angelegte Roman handelt von dem Paar Port und Kit Moresby, das mit ihrem Begleiter George Tunner von New York nach Tanger reist, mit dem Vorhaben die Wüste Sahara zu durchwandern. Ziel ist es alle Werte einer westlichen Kultur hinter sich lassen und die nordafrikanischen Kulturen kennenlernen. Kit Moresby bekräftigt bei der Ankunft in Tanger, „sie und Port seien Reisende und keine Touristen: ‚Touristen denken bei der Ankunft an die Rückreise nach Hause, der Reisende wird möglicherweise nicht zurückkehren.‘“
Bowles Roman erinnert mit seinem Inhalt und den stark existenzialistischen Eindruck an den 1926 erschienen Roman Fiesta von Ernest Hemingway. Auch finden sich im Roman mehrfach Anklänge der Beat Generation, der Bowles nahe stand aber der er nicht angehörte.