William Faulkner, Oxford, nach einem Foto von Martin J. Dain, in den 60er Jahren
William Faulkner, Oxford, nach einem Foto von Martin J. Dain, in den 60er Jahren

 

In Wolfgang Koeppens Nachruf über Uwe Johnson heißt es: Ich hatte Uwe Johnson gegenüber im Anfang unserer Bekanntschaft gemutmaßt, daß Faulkner seinen Stil beeinflußt habe. Das verstimmte Johnson. […] Und das, obwohl Johnson versuchte, sein literarisches „Vorbild“ in Amerika aufzuspüren. Das war im Jahr 1961, also zwei Jahre nach Koeppens Veröffentlichung von „Amerikafahrt“.

Von Boulder, Colorado aus reiste Uwe Johnson weiter über Salt Lake City, Reno und San Francisco nach New Orleans. Hier blieb Johnson drei Tage in einem fast tranceartigen Zustand. Er besuchte das French Quartier, Johnson nennt es [...] respektlos einen Ort mit Friedhofsatmosphäre, der ‚muffig‘ rieche – eine Charakterisierung, die, wie zitiert, wörtlich in die Jahrestage Eingang finden wird. Er hörte in der „Preservation Hall“ Jazz. Er interessierte sich für die Linien der Straßenbahn, für den Mississippi und für die berühmten Flussdampfer „Cotton Blossom“ und „Delta Queen“. Jene Schiffe [...] mit ihrer heiseren, weitklingenden Dampforgel – detailgetreue Nachbauten längst versunkener Originale, die einst die Weiten Nordamerikas bis hinauf zu den großen Seen erschlossen hatten. Kurzum: Was Uwe Johnson im vierten Band der Jahrestage als die New Orleans-Erfahrung von Gesine und Marie zu Papier bringen wird, geht erkennbar auf seine Zeit dort im Jahre 1961 zurück.

Johnsons Plan war es, über den Mississippi zu William Faulkner zu fahren. Immer noch war er wie in Trance. Die Eindrücke und das Erlebte in New Orleans und der Landschaft um diese Stadt herum erinnerten Johnson an die Romane William Faulkners. Unversehens sah er sich auf der Suche nach der Wirklichkeit jener Südstaatenromane, die ihn so sehr beeindruckt hatten. Und entdeckte, daß das Gelesene sich als noch stärker erwies als alles, was er an Faszinierendem sah.

Am 20. Juni reiste Johnson nach Oxford, Mississippi und traf William Faulkner nicht an.

Er war enttäuscht. Als er später bereits in Boston war, schrieb er an seinen Freundeskreis in Leipzig am 4. Juli in allen Einzelheiten, wie verstörend dieses Land war. Fünf Tage reiste Johnson nach Charlottesville und unternahm einen Abstecher in […] Faulkners mythisches Jefferson […] Hier sah er eine Landschaft wieder, die ihm aus seiner Faulkner-Lektüre bekannt war – und die zugleich der Gegend um Klütz und Güstrow glich: eine hügelige Landschaft, mit Seen durchsetzt und von Eichenhainen beschattet: Mecklenburg in Amerika, das ›Faulkner-Country‹ erweist sich in seiner charakteristischen Prägung als ›Johnson-Land‹.

Es war der 26. Juni abends, etwa 19 Uhr. Johnson war angekommen. An der Rugby Road in Charlottesville und somit an Faulkners Domizil. Es war wohl einer der wenigen Regentage in dieser Stadt: Faulkner fühlt sich nicht sonderlich gut. Er hat einen seiner ungeliebten Pressetermine hinter sich gebracht und denkt nach einem Reitunfall in seinem Alter mehr und mehr über den Tod nach. Nicht lange nach Johnsons Besuch wird ihn die Nachricht vom Selbstmord Hemingways erheblich verstören. Uwe Johnson wird im Haus von Faulkners Frau Estelle begrüßt. Das Gespräch mit Estelle kommt dem nervösen Johnson endlos vor, wie er seinen Freunden später berichtet. Endlich stand ein mürrischer Nobelpreisträger am andern Ende der Eingangshalle, hielt sich unverkennbar auf Distanz. Johnson indes trug ihm Literaturtheoretisches über die Bedeutung von dessen polyperspektivischem Erzählen vor.

Faulkner sagt, ich komme hierher nur um ein bisschen zu fischen und zu jagen (‚fishen‘), die andere Zeit lebe ich in Oxford. Und: Wir haben hier meist schlechtes Wetter. Wir hoffen, Sie haben es besser zu Hause. Und: Ich bin kein Mann der Literatur. Ich verstehe nicht, was Sie fragen wollen. Es kümmert mich den Teufel was aus meinen Büchern wird. Amerika liest nicht Bücher. Wenn sie Geld bringen, verlebe ich es und bin kein Mann der Literatur (‚I am not a literary man‘), thank you for stopping by. (Johnson: Brief an den Leipziger Freundeskreis)

Johnson musste sich als verabschiedet betrachten, noch bevor er eigentlich ins Haus gelangt war. Später kaufte sich Uwe Johnson eine William Faulkner Fotographie des amerikanischen Fotographen Martin T. Daim in Carmel Valley, Kalifornien.

Es zeigt Faulkner […] im März 1962 in zerschlissenem Jackett vor seiner Holzscheune in Oxford, mit kurzgeschnittenem und bereits ganz weißem Haar – eine Art Cresspahl in Mississippi.