Mahnmal „Fosse Ardeatine“ in Rom, 1956
Mahnmal „Fosse Ardeatine“ in Rom, 1956

 

Das Mahnmal „Fosse Ardeatine“ in Rom war für Ingeborg Bachmann ein wichtiger Erinnerungsort. Es erinnert an das grausame Massaker im März 1944. Als deutsche Soldaten 335 Zivilisten töteten und anschließend die Ardeatinischen Höhlen sprengten.

Für den Süddeutschen Rundfunk berichtete Wolfgang Koeppen 1956 aus Rom: Zur Erinnerung und vielleicht als Gedächtnisstütze für sein Schreiben bringt er einige Ansichtskarten mit. Eine Abbildung zeigt das Mahnmal für die zivilen Opfer eines deutschen Vergeltungsaktes im Jahre 1944 - die Fosse Ardeatine. Auch in seinem Reisebericht ‚Neuer römischer Cicerone‘ führt Koeppen den Leser an diesen Ort.

In der Veröffentlichung „Neuer römischer Cicerone“ beschreibt er den Ort der Erinnerung präzise: Eine schwere Betonplatte lastet auf einem niedrigen Raum, in dem in graden Reihen die granitenen Sarkophage der Ermordeten stehen. Auf manchem Sarkophag liegen frische Blumen, auf anderen verwelken sie. Und unter Glas sieht man auf jeder Grabplatte, inmitten eines bronzenen Lorbeerzweiges eine Photographie des Erschossenen, darunter steht sein Name, sein Beruf, sein Alter geschrieben: Ilario Canacci, 17 Jahre alt, ein freimütiges Jungengesicht […], Alessandro Portilieri, 19 Jahre alt, Student, vielleicht beschäftigte er sich mit deutscher Philosophie […].

Auf der Webseite des Wolfgang Koeppen Archivs schreibt Andrea Werner: Die knappe Beschreibung des Raumes, dann der Sarkophage und der Blumen entspricht präzise dem dazugehörigen fotografischen Dokument und ist zugleich erschreckend nüchtern . Aber gerade dieses konzentrierte, aufmerksame Protokollieren wahrgenommener Fakten kommt dem gleich, was dargestellt wird: Eine der Höhlen war der Tatort. Koeppen zoomt immer weiter, nimmt Bilder der Erschossenen genau in den Blick. Dreihundertfünfunddreißig  Menschen. Der Betrachter der Ansichtskarte ist an eine vorgegebene Perspektive gebunden, der Autor nicht. Er holt einzelne der Opfer näher heran, damit aus der Anonymität ins Blickfeld des Lesers. Koeppen schreibt gegen das Vergessen an, ist dabei bewusst sachlich, dennoch bleibt der Leser fassungslos zurück. „[…] es ist  das bedrückendste und überzeugendste Denkmal des Krieges“, resumiert der Autor.

Und stellte bei der Frage: „Was kann der einzelne tun, damit die Welt verbessert wird?“, fest: „Alles, nur er, der einzelne kann etwas tun. Selbst wenn er unterliegt.“ (WKA Sig. 22107)

Koeppen schreibt in seinem Nachruf, dass Johnson zu Hause in Berlin nicht arbeiten kann. Er geht nach Rom in die Villa Massimo, die deutsche Künstlerstiftung. Er wird unter Kollegen der gute Mensch in Rom und Berlin, der sich aufopfernde Seelenarzt der Dichterin Ingeborg Bachmann.

Im Jahr 1962 ist Uwe Johnson Stipendiat des Künstlerhauses Villa Massimo in Rom. Am 24. Januar schreibt er von dort an seine Vermieterinnen Alice und Dorothy Hensan nach Rostock: Von wo ich bin weiss ich vorerst der Adresse wenig hinzuzufügen. Es gibt die Stadt. Ein ummauerter Park in der Stadt heisst die Villa Massimo. Die Ateliers sind ausgerüstet wie ein Hotelappartement. Man hat eine Küche mit einer kühlen und einer heissen Vorrichtung und wenn meine Kanne altersschwach Tee auf die Zentralheizung tropft, so tun das die übrigen zehn auch. Ins Wohnzimmer gehen etwa 30 Leute, wenn ihr die Möbel ab- und auf den Quadratmeter ein Leut rechnet, aber auch im Bad können noch viele tanzen zwischen Wand und Wanne.

Mein Italienisch trägt mir jene ehrenvolle Behandlung ein, wie Bürger der Grossen Vereinigten Staaten Amerikas sie verdienen. Ich habe zu tun, ich tu aber nichts. Die Wege im Park sind mit bunten Steinchen ausgestreut. Was ich hier soll bis Oktober ist dringend fällig mir einzufallen.

Vorläufig gehe ich spazieren und ernähre die zahlreichen Katzen der Akademie, da hätten vielleicht auch anderswo welche gewartet. Wenn es etwas nicht gibt, das man gern gehabt hätte, kann man sagen è peccato, und ich weiss das Richtige nicht einmal auf deutsch.

Die Kritiker, die sich eher an die Realität halten, können teilweise mit Wolfgang Koeppens Roman nicht viel anfangen. Es werden einige negative Kritiken darüber geschrieben: Als Studie über Gespenster ist Koeppens Buch von subtiler Meisterschaft. Als Spiegel der deutschen Wirklichkeit aber ist es – vielleicht zum beabsichtigten  – Zerrspiegel geworden in einer Sache, wo wir dringend eines Spiegels bedürften.

Die Restaurations- und Rachegelüste; die Hilflosigkeit und Verzweiflung; das verpestete Innenleben, aus dem der falsche Idealismus sprieß; der unter demokratisch polierten Oberfläche rumorenden machtlüsternen und anarchistischen Kräfte – sie werden hervorgezerrt und der Zersetzung durch das Tageslicht preisgegeben. Ein Sortiment von Perversitäten.

Wolfgang Koeppen, der beim Hochzeitsschmaus des deutschen Wunders an die kalten Leichenschüsseln der Nazizeit denkt.

Diese Deutschen bewegen sich durch Rom als Spottgeburten der großen Geschichte, die sich in Vergangenheit und Gegenwart der Ewigen Stadt manifestiert. Sie kontrastieren zu der lebendigen Kulisse Roms in scheußlicher Weise. Sie sind ‚Der Tod in Rom‘, zugleich eine Karikatur auf den ästhetischen Liebestod des Thomas Mannschen Schriftstellers Aschenbach im ‚Tod in Venedig‘.

Eine anonyme Zuschrift an den Goverts-Verlag empört sich auch über Koeppens Buch:

Der Tod in Rom, den ich dem Buchhändler retournierte!!! […] Dreck! schamloss!! Keine saubere Literatur! Wer Zahl ihr es […] im neuen Deutschland!!!

Aber es gab auch positive Reaktionen auf seinen Roman. Die zunächst im Exil verweilenden Kritiker kommen zu einer angemesseneren Würdigung entsprechend der schon 1938 von Ernst Bloch in seinem Essay ‚Der Nazi und das Unsägliche‘ vorgetragenen These, die furchtbaren und erbärmlichen Naziverbrechen seien nicht im Ton der Anklage, Moral und Kritik darzustellen, sondern mit den wirkungsvolleren Verfremdungsmitteln des bittersten Witzes und der grotesk-komischen Satire.

Im „New Yorker Aufbau“, einer jüdischen Zeitung, die 1934 gegründet und bis 2004 erschienen ist, schrieb der Philosoph und Schriftsteller Ludwig Marcuse über „Der Tod in Rom“: Was die Hauptfiguren sagen, stand noch in keiner Zeitung – weshalb manche deutschen Rezensenten sie verzerrt nennen. Aber auch ›Iphigenie‹ ist ›verzerrt‹; man trifft solche Damen auf Parties nicht. Koeppen ist imstande, das bis zum Ueberdruss Bekannte mit wenigen Strichen zu verewigen, welches Lust bereitet, wie die pure Wahrheit immer Lust bereitet.

Marcuse der Emigrant, der wie viele Schutz und eine neue Heimat sucht, suchte diese nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Sanary-sur-Mer. Über einen halbjährlichen Aufenthalt in der ehemaligen Sowjetunion, gelang ihm die Flucht in die USA. Marcuse, also der Exilant, der „große, unbedankte Aufklärer der Deutschen“ (Hans Heinz Hahnl) schrieb diese Kritik vollen Lobes in einer jüdischen Zeitung in New York über den während des 2. Weltkrieges in die „innere Emigration“ getretenen Wolfgang Koeppen.